Sinn finden, von ihm gefunden werden – oder Sinn gegeben?

Wie unsere Prägungen unser Sinn-Verständnis formen
Was wir unter Sinn verstehen, ist kein universelles Konzept. Auch wenn es sich oft so anfühlt, als wäre "Sinn" ein fester Begriff mit klarem Inhalt – tatsächlich ist er tief verwoben mit unserer Sozialisation: Unsere Kultur, Religion, unser Weltbild, die Gesellschaftsform, in der wir leben, sowie unsere Familie, Peers und Vorbilder prägen maßgeblich, wie wir Sinn deuten.
Kurz: Wir wachsen nicht im luftleeren Raum auf. Sondern im Kontext von kollektiven Erzählungen darüber, woher Sinn kommt – und wer ihn definieren darf.
Dabei lassen sich grob drei Perspektiven unterscheiden:
- Sinn finden,
- von Sinn gefunden werden,
- Sinn geben.
1. Sinn finden
Diese Haltung geht davon aus, dass Sinn irgendwo da draußen existiert – und dass es unsere Aufgabe ist, ihn zu entdecken. Wir begeben uns also aktiv auf die Suche: nach dem, was uns ruft, nach dem, was uns erfüllt. Nicht durch Warten, sondern durch bewusstes Handeln kommen wir ihm näher.
2. Von Sinn gefunden werden
In vielen religiösen und spirituellen Traditionen ist es genau umgekehrt: Der Sinn findet uns. Er ist Teil einer göttlichen Ordnung, einer Bestimmung oder eines höheren Plans. Unsere Aufgabe ist nicht, aktiv zu gestalten, sondern uns zu öffnen – für Eingebung, Fügung, Berufung. Sinn wird hier als Geschenk oder Führung erlebt.
3. Sinn geben
Ein dritter Zugang: Sinn ist nichts Vorgegebenes – wir geben ihm Bedeutung. Diese Sichtweise betont unsere schöpferische Freiheit: Was ich tue, woran ich glaube, welche Werte ich lebe – all das erhält durch mich Bedeutung. Viktor Frankl nannte es den "trotzdem-Sinn": selbst im Leid dem Leben Bedeutung geben zu können.
Und, was stimmt jetzt?
Die Psychologie (z. B. Tatjana Schnell, 2009) zeigt: Menschen erleben Sinn am stabilsten, wenn sie zwischen diesen drei Perspektiven flexibel wechseln können – je nach Lebensphase, Herausforderung oder Kontext. Wer sich nur treiben lässt, verliert sich. Wer nur selbst Sinn erzeugen will, kann sich überfordern.
Zeit für eine ehrliche Selbstbefragung:
Welcher Sinn-Zugang ist mir vertraut – und welcher fremd?
Warte ich, dass mich der Sinn findet – oder gehe ich aktiv auf die Suche?
Wo darf ich loslassen – und wo darf ich gestalten?
Vielleicht geht es am Ende nicht darum, die "richtige" Sinnperspektive zu finden. Sondern eine zu wählen, die uns gerade jetzt stärkt, trägt – und handlungsfähig macht.